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Ganzheitlicher Ansatz verbindet traditionelle Medizin und moderne Konzepte! | Medizin

Die Ursachen und Hintergründe so genannter funktioneller Störungen bleiben häufig unerkannt. Neue biomedizinische Modelle können helfen, derart komplexe Krankheitsbilder besser zu verstehen. Dabei verblüffen die Ähnlichkeiten zu Ansätzen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).

Mit den auffallenden Übereinstimmungen von modernen neurobiologischen Modellsystemen und Jahrtausende alten Paradigmen der TCM beschäftigen sich Steven Tan und seine Kollegen der Universität von Kalifornien in Los Angeles:

Wie die Autoren in der Fachzeitschrift "eCAM" (Evidence-based Comparative and Alternative Medicine) berichten, könnte die Verbindung beider Konzepte zur Behandlung funktioneller Störungen einen erheblichen medizinischen Fortschritt darstellen.

Fast ein Viertel aller Patienten kommt mit körperlichen Beschwerden zum Arzt, deren somatische Ursache nicht auszumachen ist.

Unter dem Begriff "Funktionelle somatische Syndrome" (FSS) vereinigt man heute Symptome wie Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, bei denen sowohl physische als auch psychische Komponenten eine Rolle spielen. Wenn es um die eindeutige Diagnose und Therapie dieser Krankheitsbilder geht, gerät die Schulmedizin an Grenzen.

Die Behandlung einzelner Symptome verläuft selten erfolgreich. Demgegenüber helfen oft zentral wirkende Medikamente, wie beispielsweise trizyklische Antidepressiva.

Für den behandelnden Arzt, der keine Ursachen für die Symptome entdecken kann, stellen solche Patienten eine große Herausforderung dar.

Wenn Körper und Seele aus dem Gleichgewicht geraten

Die Wissenschaft geht heute nicht mehr davon aus, dass "Funktionelle somatische Syndrome" primär psychische Störungen (wie z.B. Angststörungen) sind. Vielmehr weist die Forschung auf die Multikausalität der Beschwerden hin, die vermutlich durch die Interaktion verschiedener somatischer und psychischer Faktoren zustande kommen.

Biomedizinische Modellsysteme sollen helfen, die Hintergründe funktioneller Störungen auf neurobiologischer Grundlage besser zu verstehen. Demnach führt die Kombination mehrerer emotionaler und / oder körperlicher Stressfaktoren beim Patienten letztendlich auf neuromodulatorische Art und Weise zu den verschiedenen Symptomen.

Homöostase - ein sensibles Gleichgewicht

Als ein hilfreicher Erklärungsansatz erweist sich seit einigen Jahren das sogenannte Allostase-Modell: Durch gezielte Antwort auf von außen einwirkende Stressfaktoren kann die Homöostase aufrecht erhalten werden.

Zentrale physiologische Mechanismen im Allostase-Modell bilden aufsteigende, monoaminerge Systeme, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HPA) -Achse, endogene Netzwerke zur Schmerzmodulation sowie autonome und skelettmotorische Bahnen. Die allostatische Antwort ist immer adaptiv an die jeweilige Situation.

Doch anhaltende, besonders heftige und unkontrollierbare Stressfaktoren können dazu führen, dass das System zu stark oder zu schwach reagiert. Falsch angepasste Reizantworten führen dann zu verschiedenen Symptomen, vom metabolischen Syndrom bis hin zu Symptomkomplexen der "Funktionell somatischen Syndrome".

Zum besseren Verständnis dieses Syndroms eignet sich auch das Modell des so genannten Emotionalen Motorischen Systems (EMS): Dabei reguliert dieses Systems die Beziehungen zwischen Geist, Körper und Gehirn.

Auf äußere oder innere Störungen wirkt es neuromodulatorisch über efferente und neuroendokrine Bahnen. Wie stabil das System ist, hängt wiederum von mehreren Faktoren ab: Hier spielen auch genetische Voraussetzungen, frühkindliche Erfahrungen und als lebensbedrohlich empfundene Ereignisse eine besondere Rolle.

Wird die Homöostase gestört, führt das letztlich zu stereotypen Reaktionsabläufen zentral regulierender Nervenbahnen. Die Folge sind Veränderungen im Körper, die emotionsspezifisch immer ganz bestimmten Mustern folgen.

Emotionales Wohlbefinden und körperliche Gesundheit sind unzertrennbar

Die TCM definiert Gesundheit als Stadium optimaler Balance zwischen den Lebenspolaritäten Yin und Yang. Jedes Individuum verfügt außerdem über die angeborene Fähigkeit, diese Balance und damit die Gesundheit aufrecht zu erhalten.

Abhängig von der persönlichen Lebensweise, Umwelteinflüssen, körperlichen und psychischen Stressfaktoren wird diese Konstitution im Laufe des Lebens gestärkt oder geschwächt.

In der TCM gelten emotionales Wohlbefinden und körperliche Gesundheit als unzertrennbar - das unterscheidet sie von konventionellen westlichen Konzepten:

Wenn die körpereigenen Mediatoren die Balance zwischen Yin und Yang nicht erhalten können und es zum Ungleichgewicht der Kräfte im Körper kommt, kommt es zu krankhaften Symptomen. Lang andauernde oder schwere Stressfaktoren können die Reserven des Körpers erschöpfen - es kommt zum Funktionellen somatischen Syndrom.

Die auftretenden Symptome werden in der TCM als Ausdruck einer Fehlregulation gedeutet, die sich in einem bestimmten Muster ausprägt. Deshalb betrachtet man alle Krankheitsanzeichen im Kontext und untersucht den gesamten Körper, um ein Muster zu erkennen.

Diese Diagnose bildet dann die Grundlage für einen Behandlungsplan mit pflanzlichen Arzneien, Akupunktur, Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie (z.B. Qi Gong).

Konvergenzen zwischen traditionell und modern

Obwohl die drei Konzepte, also das Modell der Allostase, des Emotionalen Motorischen Systems(EMS) und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), aus ganz unterschiedlichen Jahrtausenden und Kulturen stammen, zeigen sich doch auffallende Ähnlichkeiten:

Alle drei Modelle erkennen die Bedeutung der Homöostase, die der Körper normalerweise durch die adäquate Anpassung an Stressfaktoren aufrecht erhalten kann. Dabei beeinflusst auch die genetische Konstitution die individuelle Verletzlichkeit.

Bis zu einer bestimmten Schwelle können Menschen adäquat mit diesem Stress umgehen. Zu lange andauernder chronischer Stress oder / und akute Stressfaktoren - ob physisch oder emotional - führen jedoch zum Zusammenbruch des Systems. Die normalen, breit wirkenden Regulationsmechanismen im Körper versagen und die Folge sind multisystemisch auftretende Symptome.

Obwohl es sich hier nur um grundsätzliche Vergleiche handelt und sich längst nicht alle Elemente der TCM so einfach mit westlichen Vorstellungen vereinbaren lassen, bleiben die Übereinstimmungen verblüffend.

Die Verbindung moderner westlicher und traditioneller östlicher Medizin könnte einen neuen Verständnis- und Therapieansatz funktioneller Störungen darstellen, auch in der Praxis. "Wir dürfen nie vergessen, den Menschen als Ganzes zu betrachten", sagt Professor Frank R. Bahr von der Deutschen Akademie für Akupunktur und Aurikulomedizin" (DAAM).

Er betont, dass sich traditionelle Methoden wie die Akupunktur gerade zur Behandlung multisystemischer Erkrankungen wie dem Funktionellen somatischen Syndrom eignen.

Quelle:
Tan S et al.: Functional Somatic SyndromesÊ: Emerging Biomedical Models and Traditional Chinese Medicine. eCAM (2004); 1(1): 35-40.